Frühjahrssegeln mit der Hendrika Bartelds 2018

 

Tag 5

 

Also ein Liegetag in Terschelling. Nun, es hätte uns wesentlich schlimmer treffen können. Die Insel bietet wirklich viel. Wer die Ruhe sucht, findet sie zu dieser Zeit auf jeden Fall - es gibt einen ca. 30 km und bis zu 500 m breiten Sandstrand, und zu der Jahreszeit nahezu ohne Menschen. Wer sich sportlich betätigen will, kann u.a. eine der zahlreichen Fahrradausleihen aufsuchen, um dann radelnd die Insel für sich zu entdecken. Wer einfach nur gemütlich einen Einkaufsbummel machen will, kommt in dem Ort, an dem wir angelegt haben (Terschelling West), durchaus auch auf seine Kosten. Nun, und wer so wie ich auch immer den maritim-historischen Touch sucht, wird hier gleich mehrfach fündig.

Terschelling ist eine der fünf bewohnten Westfriesischen Inseln und hat knapp 5.000 Einwohner. Die knapp 29 km lange und an der breitesten Stelle 4,5 km breite Insel ist der Geburtsort des berühmten niederländischen Seefahrers und Entdeckers Willem Barents (1550 – 1597). Die Besiedelung der im frühen Mittelalter durch Sandanspülungen entstandenen Insel begann wahrscheinlich zu Zeiten Karl des Großen, im 7. Jahrhundert.
Im 14. Jahrhundert beendete eine holländische Flotte die Freye und Friesische Zeit der Insel und führten das Lehnswesen ein.
Im Laufe der wechselvollen Geschichte änderten sich die Machtverhältnisse häufig. Im Jahr 1666, zur Zeit des Zweiten Englisch-Holländischen Seekriegs, wurde Terschelling von den Engländern überfallen; dabei wurde das Dorf West-Terschelling fast gänzlich niedergebrannt. Rund 140 bis 150 niederländische Handelsschiffe, die im Seegebiet Vlie zwischen Terschelling und Vlieland vor Anker lagen, gingen in Flammen auf. Dieses für die Insel äußerst prägende Ereignis begegnet mir dann im Laufe des Tages nicht nur einmal.

Aber alles der Reihe nach. Zuerst nochmal ein Blick zurück auf den Abend zuvor. Nach dem Anlegen und dem Abendbrot war noch etwas Zeit und vor allem Fotolicht, um von Bord zu gehen und die nähere Umgebung zu erkunden. Klar, zuerst einmal müssen Fotos unseres Schiffes gemacht werden. Und dann sehe ich da in unmittelbarer Nähe  unseres Anlegekais einige höchst interessante Exponate, die ich sofort mit dem auf dieser Insel vorhandenen Wrakkenmuseum in Verbindung bringe. Ein altes, verwittertes Bratspill und ein ebenso aussehendes Ankerspill, Kanonen, Anker, eingefasste Wantjungfern - das alles macht Appetit auf mehr.

 

Nach dem Frühstück geht es dann an Land. Nach kurzer Besichtigung des schmucken kleinen Ortszentrum mit hübschen alten Häusern und einem offenen Café für meinen Koffeinbedarf zieht es mich in das "Museum 't Behouden Huys".  Steht man vor dem Gebäude, erscheint einem das recht klein und unscheinbar. Umso mehr ist man dann überrascht, was sich einem nach Betreten des Hauses alles bietet. In zwei miteinander verbundenen alten Häusern und einem Innenhof wird einem jede Menge Geschichte vermittelt - und das wahrlich nicht nur mit langweiligen Schrifttafeln und ein paar alten Scherben, Möbeln und staubigen Teppichen. Nein, es gibt echt viel zu sehen, so u.a. viele Schiffsmodelle, dann Dioramen, die die Geschichte von Terschelling lebendig werden lassen, so auch den oben erwähnten verheerenden Angriff der Engländer im 17. Jahrhundert.

Im Innenhof findet man zuerst ein Teil eines alten Ruderblattes, noch mit den Fingerlingen, also den Teilen, mit denen das Ruderblatt am Achtersteven eingehängt wurde.  Dann gibt es einen Nachbau der Hütte, die sich Willem Barents und seine 16 Begleiter auf ihrer dramatischen Reise 1596/97 bauten. Diese Fahrt war der dritte Versuch unter Beteiligung von Barents, die Nordostpassage zu finden, den nördlichen Seeweg zwischen Europa und Asien. Da ihr Schiff im Packeis einfror, mussten sie dort überwintern. Rund um die Hütte spielten sich teilweise dramatische Szenen ab, mehrmals musste man sich den Angriffen hungriger Eisbären erwehren. Passend dazu gibt es im Museumshaus ein nettes Diorama. Ein echter Hingucker ist dann der Blick unter Deck des Expeditionsschiffes von Barents - und nicht nur der Blick, nein, man kann das Deck auch betreten und sich so direkt hineinversetzen in die Enge, die ein damaliges Schiff bot.

Willem Barents war einer der fünf Männer, die diese Expedition nicht überlebten.

Die Niederlande sind traditionell eine jahrhundertealte Seefahrernation; auch davon berichtet dieses Museum. Interessante Sammlerstücke und Handelsobjekte aus Übersee gibt es dort zu entdecken, so u.a. auch eine Vitrine mit verschiedenen aus Gewürznelken gefertigten Modellen von Schiffen, Wagen, Tassen und anderem mehr.

Nautisches Gerät aus der damaligen Zeit gibt es ebenfalls zu sehen. Spannend finde ich ein Steckbrett, welches als Logbuch diente. Mit kleinen Holzdübeln wurde die Windrichtung und die Fahrtzeit, während man diesem Wind folgte, festgehalten. Später konnte das dann in der trockenen Kajüte in das richtige Logbuch übertragen werden.

Besonders interessant ist ein Modell eines schmucken Dreimasters. Es handelt sich um die Halve Maen, das Original gebaut 1608 in Amsterdam. Unter dem Kommando des Engländers Henry Hudson stach es 1609 in See, um die nordwestliche Passage zum Pazifik zu finden. Der Hudson River erinnern noch heute an den Seefahrer, unter dessen Kommando das letztendlich nicht erfolgreiche Unternehmen stattfand. Eine Replik dieses Schiffes ist noch bis 2020 am Westfries Museum in Hoorn zu besichtigen, ehe sie wieder zu ihrem Stützpunkt im New Netherland Museum in New York zurückkehrt.

Im Museum begeistert mich ein schmuckes Modell der Lutine. Allerdings hat die Geschichte dieses Schiffes einen tragischen Hintergrund: Das Seegebiet rund um Terschelling gilt seit hunderten von Jahren als eines der gefährlichsten der Welt. Dementsprechend gab es auch zahlreiche und oftmals auch dramatische Schiffsunglücke zu verzeichnen. Der Untergang der Lutine wird im Museum besonders eindrucksvoll dargestellt. Diese 1779 in Frankreich gebaute 32-Kanonen-Fregatte ging 1793 im Zuge der Blockade von Toulon und der Übergabe des Hafens durch französische Royalisten an den britischen Admiral Lord Hood an die Royal Navy, die sie zu einer 38-Kanonen-Fregatte umbaute. Am 9. Oktober 1799 strandete das Schiff auf einer Fahrt von Great Yarmouth nach Cuxhaven in einem schweren Sturm auf einer Sandbank vor Terschelling und ging unter. Von den 241 Mann Besatzung überlebte nur einer; eine wertvolle Ladung an Gold und Silber in Form von Barren und Münzen im Wert von 1,2 Millionen Pfund ging verloren.

Spätere Bergungsversuche brachten u.a. die Schiffsglocke hervor, die noch heute auf einem erhöhten Podest des sog. Underwriting Room, bei der Schiffsversicherungsgesellschaft Lloyd's in London, steht.

Das Museum widmet der Tatsache, dass früher und bis in die heutige Zeit Menschen unter Einsatz ihres Lebens alles daran setzen, Schiffbrüchige zu retten, breiten Raum. Eine ebenso beeindruckende wie bedrückende Tafel zeigt an die 200 Schiffe, die in diesem Seegebiet Schiffbruch erlitten; zu jedem dieser Katastrophen ist angegeben, wieviele Menschen gerettet werden konnten. Zumeist waren das nur sehr wenige; oftmals gingen die Schiffe im wahrsten Sinne des Wortes komplett mit Mann und Maus unter. Und diese Tafel erhebt bei weitem nicht den Anspruch auf Vollständigkeit - nachweisbar sind es weit über 800 Schiffe, die hier verunglückt sind, und es sind sicher noch mehr, denn längst nicht jedes Unglück wurde auch aufgezeichnet und für die Nachwelt festgehalten.
In einer Vitrine werden Modelle von Schiffen gezeigt, die früher und auch heute derSeenotrettung dienten und noch dienen. Auch die Lebensretter von Terschelling werden in Wort und Bild gewürdigt. Und der Leuchtturm von Terschelling, das weithin sichtbare und nach wie vor wichtige Wahrzeichen der Insel, findet natürlich auch Erwähnung.

Seenotrettung ist nach wie vor ein aktuelles Thema. In einer Spendenbox dazu landet dann auch von mir ein Beitrag.

Alle Bilder aus dem Museum darf ich hier mit freundlicher Genehmigung des Museums zeigen - dafür ein BEDANKT an Douwe Gubbels vom Museum ’t Behouden Huys.

 

So klein das Museum auch ist, so verbringt man doch schon einige Zeit darin. Als ich wieder im Freien stehe, stelle ich fest, dass es Mittagszeit ist. Da wir vereinbart haben, dass es heute an Bord kein Mittagessen gibt, da ja eh alle auf der Insel unterwegs sind, wird eine für holländische Küstenlandschaften typische Verpflegung gesucht. Am Hafen findet sich dann auch ein Stand, an dem es u.a. Matjes und Kibbeling gibt, und so etwas Leckeres lässt man sich doch gern schmecken. Ich beichte jetzt hier mal was: Obwohl ich auch schon früher das eine oder andere Mal in Holland war, erlebe ich hier im Hafen von Terschelling meine persönliche Kibbeling-Premiere. Und ich bin begeistert!

Meine Reisevorbereitungen waren recht vielseitig. So habe ich von meinen Segelfreunden, die schon viel länger als ich an diesem speziellen Törn teilnehmen, mögliche Häfen erfragt habe, die wir in holländischen Gewässern anlaufen, um mich schon im Vorfeld etwas zu informieren, was es da zu sehen gibt. Daher weiß ich, dass es auf Terschelling auch ein Wrakkenmuseum gibt. Habe ich ja weiter oben bereits erwähnt. So ist dann also eine Fahrradausleihstation das nächste Ziel. Davon gibt es hier im Ort jede Menge, und kurze Zeit später sitzen ich und zwei weitere Segelfreunde im Sattel und radeln nach Formerum, ca. 7 km entfernt.

Das Museum ist eines von der sehr, sehr speziellen Sorte. Es handelt sich mehr um ein Sammelsurium von angeschwemmtem Strandgut und Wrackfunden, die durch Tauchereinsätze geborgen wurden. Man findet echte Kuriositäten, bestaunenswerte Exponate, Waren, die aus von Schiffen gefallenen Containern an Land geschwemmt wurden, darunter so lustige Dinge wie zahlreiche Gummi-Enten oder dutzende Markenschuhe. Aber auch historische Waffen, Säbel und Pistolen, WK-I und WK-II-Devotionalien, sowohl aus untergegangenen Schiffen als auch  von über dem Meer abgestürzten Flugzeugen sind zu besichtigen. Es ist auf jeden Fall hochinteressant, die drei Etagen dieses Gebäudes, welches im Erdgeschoss eine urige Kneipe beherbergt und integriert, zu durchstreifen. Ein lustiges und interessantes Außengelände mit einem großen Kinderspielplatz gehört auch dazu, und auch dort findet der geschichtsinteressierte Besucher das eine oder andere hochinteressante Exponat. Und für mich als jemand, der speziell am "Age of Sail" interessiert ist, gab es höchst bemerkenswerte Exponate, so u.a. verschiedene Kanonenladungen (normale Kugeln, Stangenkugeln, Traubengeschosse, Kartätschenladungen...), ein Stück eines Geschützes der Royal Navy mit dem bekannten königlichen Wappen und ein hübsches kleines Modell, welches unter dem Motto "Wat is een kanon?" zeigt, wie eine Geschützmannschaft zu damaliger Zeit gearbeitet hat.

Auf dem Innenhof irritiert mich zuerst ein Teil, welches sich auf den ersten Blick nicht zuordnen lässt. Aber dann wird es klar - ich stehe vor einem Viertel einer Marsplattform der 1885 gebauten deutschen Bark Ursula. Das Schiff war 1989 auf einer Reise von Birma nach Bremen mit einer Ladung Teak, Bambus und Reis unterwegs, lief vor Terschelling auf Grund und versank. Ich bin im Nachherein ehrlich überrascht und auch entsetzt, dass dieses schreckliche Schiffsunglück, welches ja zu einer Zeit stattfand, in der ich mich bereits seit vielen Jahren für Segelschiffe interessierte, bisher so völlig an mir vorbeigegangen war.

Insgesamt ist dieses Museum auf jeden Fall eine große Empfehlung wert, und das nicht nur für so maritimhistorisch interessierte Menschen wie mich.

Wir haben aber trotz der sehr ernsten Themen, die es dort ja reichlich gibt, insgesamt viel Spaß; die Radtour bereuen wir in keiner Weise.  Auch die Geschütze im Eingangsbereich sind es wert, im Bild festgehalten zu werden. Auch hier wird meine Nachfrage wegen Fotos und Homepage mit einem freundlichen "Ja, selbstverständlich, ist doch Werbung für uns!" beantwortet. (Warum man sich da in deutschen Museen oftmals so überaus schwer tut, werde ich wohl nie begreifen...)

Auf dem Rückweg schauen wir noch an einer Windmühle vorbei - na klar, was wäre ein Holland-Besuch ohne Windmühle? Diese hier ist mittlerweile zur "Kaffeemühle" mutiert; die Lokalität macht einen gemütlichen Eindruck. Nur die Tatsache, dass die Zeit mittlerweile etwas drängt, hält uns davon ab, dort noch einzukehren.

 

Der Abend gehört dann dem traditionellen Bordfest. In diesem Jahr lautet das Motto "Weihnachten". Klingt seltsam, ist es auch. Gleichwohl, alle lassen sich darauf ein. Wir haben mehrere Weihnachtsmänner, zwei lebende Weihnachtsbäume, einen sehr großen, kräftigen  Weihnachtself, einen wandelnden Adventskalender und sogar einen vollkostümierten Elch. Dazu dann jede Menge sonstige weihnachtlich orientierte Kostümierungen. Lustig, dass sogar die holländische Schifffahrtspolizei vorbeigefahren kam, um zu schauen, ob da auch wirklich alles mit rechten Dingen zugeht. Unserer Einladung, einfach mal an Bord zu kommen, sind sie dann doch nicht gefolgt...

Wie gewohnt davon keine weiteren Bilder.

 

Na gut, eins.