Nicht von Pappe? Doch!


Kartonmodelle zu bauen ist mehr als nur ein paar Papierschnipsel zusammenzukleben. Dennoch braucht niemand Angst davor zu haben, sich auch mal an einem Schiffchen aus Karton zu versuchen...

Meine Auffassung von Kartonmodellbau

 

Um es gleich klarzustellen: Ich bin kein Karton-Purist. Im Gegensatz zu manchen Kartonmodellbaukollegen, die wirklich jedes Teil aus Papier formen, ist Karton für mich lediglich ein nützlicher Werkstoff. Ich habe mich nie wirklich mit filigraner Holzbearbeitung beschäftigt; mir fehlt außerdem das dafür notwendige Equipment und wohl auch die Lust, mich nach jedem gefertigten Teil mit Staubsauger und Reinigungstuch auf die Jagd nach Sägespänen und feineren Bestandteilen der Holzformung zu begeben. Plastik habe ich probiert; meine Revell-Victory wird wohl auf immer und ewig auf ihre Vollendung warten müssen. Nachdem ich festgestellt habe, dass es passend zu meinem Hobby – Segelschiffe aller Couleur – auch tolle Bausätze aus Karton gibt, hatte ich mein Metier gefunden.

 

Ich möchte Modelle von historischen Segelschiffen bauen, und dies in einer Qualität, die meinen Fähigkeiten und meinen Ansprüchen gleichermaßen entspricht. Was ich aus Karton bauen kann, baue ich aus Karton; allerdings greife ich bei „kritischen“ Teilen auch auf andere Materialien zurück. Beispielsweise würde ich keinen Mast mehr aus Papier bauen; da habe ich schon in meiner Anfangszeit, als ich bei den Schreiberbögen wirklich nahezu 1:1 den Bogen umgesetzt habe, geschummelt, in dem ich das Stück Karton, welches ich zum Mast rollen sollte, um einen zurechtgeschnittenen Schaschlikspieß gedreht habe. Zugegeben, meine ersten Modelle ließen bei einem näheren Blick darauf keinen Zweifel aufkommen, dass es sich hier um Karton handelt. Mittlerweile aber ist mein Anspruch ein anderer. Ein Schiffsmodell soll aussehen wie eine Miniaturausgabe eines echten Segelschiffes – und die waren nun mal nicht aus Papier. Die Tatsache, dass das Holz stets irgendwie behandelt und in der von mir favorisierten Epoche auch bei den meisten Teilen gestrichen war, bietet dem Kartonmodellbauer jede Menge Möglichkeiten, sein Modell möglichst authentisch aussehen zu lassen.

 

Ich glaube, es geht vielen Modellbauern so wie mir:  Je länger man diesem Hobby frönt, umso besser, perfekter will man auch werden. Irgendwann packt es einen – und dann fängt man zum Beispiel an, sich nicht mehr mit dem gekauften Takelgarn zufrieden zu geben – nicht mal mit dem wirklich guten von Amati. Man kauft oder baut sich eine Reeperbahn und schlägt seine Taue selber. Und dann liest man in Fachbüchern und sieht bei anderen Modellbauern, dass bestimmte Taue gekleedet waren. Also schaut man, wie man das auch hinbekommt. Eine Kleede-Maschine zum Selberbauen? Toll! Ach, die muss man in den USA bestellen? Hmm, na gut. Oh, die Firma hat ja auch fantastisch aussehende Blöcke im Angebot! Bestell ich doch gleich mal welche… Wie weit man im Streben nach Perfektion geht, muss jede und jeder für sich selbst entscheiden.

 

Ein extrem wichtiger Bestandteil  beim Bau eines historischen Schiffsmodells ist die Recherche. Da ich bisher stets Bausätze hatte und nie ein Modell nur nach Bauplan baue – mit einer unvollendeten Ausnahme, über die ich hier auch berichte - habe ich es mir mittlerweile angewöhnt, so ziemlich jedes Teil zu hinterfragen. Das sind einfach Erfahrungswerte; speziell im Baubericht der Mercury findet man immer mal wieder solche Beispiele, die zeigen, wie wichtig Recherche ist. Bei einem historischen Segelschiff ist es dabei insbesondere die Takelage; hier lohnt es sich auf jeden Fall, vorher die einschlägigen Fachbücher zu befragen. Und dabei geht es nicht darum, das Modell noch komplizierter zu machen – man macht es nur besser, ohne dass man auf einmal vor modellbautechnischen Herausforderungen steht, die man nicht bewältigen kann.

Es gibt ein paar Standardwerke, die für den Bau historischer Schiffsmodelle, speziell des "Age of Sail", einfach unerlässlich sind. Das sind für mich insbesondere:

  • Wolfram zu Mondfeld: Historische Schiffsmodelle
  • Karl-Heinz Marquardt: Bemastung und Takelung von Schiffen des 18. Jahrhunderts
  • Klaus Schrage: Rundhölzer, Tauwerk und Segel

Bei mir geht mittlerweile reichlich ein Drittel der Gesamtzeit, in der ich mich mit meinem Schiff befasse, für Recherche in Büchern und im Web auf den einschlägigen Modellbauseiten drauf. Wobei die Formulierung "geht drauf" nicht richtig ist; das klingt so negativ. Zum einen macht mir das auch Spaß, zum anderen erweitert es das Wissen und hilft vor allem, Fehler beim Modellbau zu vermeiden.

 

Ich habe hier auf meiner Seite sehr bewusst auch meine ersten Modelle gezeigt. Ich hoffe, damit allen, die darüber nachdenken, auch mal ein Segelschiff aus Karton zu bauen, zu zeigen, dass man mit Spaß, einem Mindestmaß an feinmechanischem Geschick und ein klein wenig Ausdauer ein Hobby findet, das für jeden Anspruch etwas bietet und das jede Menge Potential hat, ohne Druck und Hektik immer tiefer in die faszinierende Welt historischer Schiffsmodelle einzutauchen.