Als ich diesen hübschen Bausatz im März 2021 geschenkt bekam, war klar, dass nach Fertigstellung der HMS Mercury doch nicht sofort ein neues Segelschiff aufgelegt wird, sondern erst einmal dieses Diorama.
Es zeigt ein englisches Schiffsgeschütz, laut Beschreibung in der Bauanleitung aus der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts.
Die Bauzeit betrug hier etwas mehr als drei Monate. Das Modell hat mir viel Freude bereitet; im Folgenden schildere ich die wichtigsten Stationen des Baus.
Der Bausatz selbst wird auf dieser Seite sehr gut und umfassend vorgestellt. Ich habe das Komplettpaket bekommen, also auch den Lasercut-Zukaufsatz.
Erste Überlegungen
Bevor ich losgelegt habe, habe ich mir ein paar Gedanken gemacht. Ob das Geschütz wirklich ein 42-Pfünder ist, wage ich zu bezweifeln. Diese schweren Geschütze waren auf Linienschiffen, also Dreideckern, im Einsatz und fanden sich dort immer auf dem untersten Geschützdeck. Je weiter man nach oben kam, desto leichter wurden die Geschütze. (Was passiert, wenn man das nicht beachtet, hat man bei der schwedischen Vasa gesehen... )
Das Modell zeigt eindeutig einen Ausschnitt von einem oberen Deck. Man sieht eine Reling und die Auflanger der Spanten. Wäre die Szene ein paar Decks tiefer, müssten statt der Auflanger die Knie zu sehen sein, also das dicke Ende unter der Decke. Tja, was fange ich aber nun mit dieser Erkenntnis an? Eine kleinere Kanone bauen? Nö, ich baue diese dicke Wumme dennoch, so.
Dann habe ich mir Gedanken zu dem Zuber und dem Fass gemacht. Es war üblich, dass auf jedem Geschützdeck ein oder mehrere Wasserfässer standen, an denen sich die Stückmannschaften während eines Gefechtes mal schnell die trockene und pulverstaubverklebte Kehle spülen konnten. Und so steht dieses Fass auf diesem Schiff eben just neben der Kanone, die hier zu sehen ist. Ich dachte darüber nach, das Fass offen zu zeigen mit einer sichtbaren Wasseroberfläche und ein paar Schöpfkellen an den Rand zu hängen. (Diese Überlegung warf ich später über Bord - mehr dazu an anderer Stelle.)
Der Zuber erfüllt einen ganz anderen Zweck. In ihm war auch Wasser, allerdings Meerwasser. Warum, fragt sich jetzt vielleicht der eine oder die andere. Wenn eine Kanone abgefeuert wurde, musste sie vor dem nächsten Laden erst einmal gesäubert werden. Als erstes kam der "Wurm" zum Einsatz, eine Stange mit einem korkenzieherartigen Haken, mit dem Kartuschen- und Wergreste, die oftmals noch glühten, aus dem Rohr gekratzt wurden. Um auch letzte Reste von glühenden Pulverresten zu entfernen und vor allem auch zu löschen, wurde dann mit einem feuchten Wischer nachgereinigt. Und um diesen anzufeuchten, war der Zuber da. Keinesfalls lagen da die Pulverkartuschen drin - man stelle sich vor, ein einziger Funke beim Abfeuern, der da reinspringt, und Gute Nacht allerseits. Die Pulverkartuschen wurden meist von Schiffsjungen, den sog. "Pulveraffen" aus der Pulverkammer gebracht, und zwar in metallischen oder ledernen Zylindern. War das Rohr gereinigt, wurde dann eine neue Kartusche hineingeschoben, dann die Kugel, anschließend ein Wergpfropfen, damit die Kugel nicht einfach nur rausrollt, wenn das Schiff sich etwas neigt. Man sieht also, wir brauchen drei Geräte an der Kanone, nicht zwei. Wurm, Wischer, Ladestock. Was auch üblich war, dass Wischer und Ladestock an beiden Enden ein und des selben Rundholzes waren. Der Bausatz sieht nur zwei Geräte vor, also würde ich da nacharbeiten.
Der Bau beginnt
Der Decksausschnitt mit Bordwand, Reling, Stückpforte und Spantauflanger war schnell zusammengebaut. Die Passgenauigkeit der Laserteile ist exzellent.
Als nächstes habe ich mich mit dem Zuber beschäftigt. Das letzte Bild zeigt den Sprung, den ich maßstabstechnisch gemacht habe. Der Seemann hat es nicht an Bord der HMS Mercury geschafft und schaut nun hier ehrfurchtsvoll zu, wie dieses riesige Gerät entsteht.
Nachdem der Zuber fertig war, kamen die Seitenwangen der Lafetten dran. Die Druckqualität der einzelnen Teile ist übrigens hervorragend!
Außerdem wartet das Kugelrack auf Füllung - das ist aber nur angesteckt, kann also wieder abgenommen werden. Ich habe es sehr bewusst noch nicht festgeklebt, denn darunter kommt dann der Augbolzen zur Befestigung des Broktaus hin - ich werde das Rack also erst endfixieren, wenn das Geschütz steht.
Als nächstes baute ich die Räder der Lafetten. Man ahnt schon, wie es einmal aussehen wird.
Die Lafette bekam dann die Bodenplatte und diverse Beschläge. Die Richtkeile bekamen von mir Griffe aus Holz spendiert - die zweidimensionalen Teile des Bausatzes wollten mir gar nicht gefallen. Aber wozu hat man einen reichhaltigen Fundus an diversen Kleinteilen! So u.a. hölzerne Belegnägel; deren Köpfe gaben wunderbare Griffe ab.
Hauptteil des Modells: Das Kanonenrohr
Schon der Blick in die Bauanleitung versprach jede Menge Spaß. Das Teil 18 g ist sozusagen die Seele des Rohrs. Allein das war schon eine nette Aufgabe, diesen schmalen Kartonstreifen sauber längs rund zu biegen und kantengenau zusammenzukleben. Das ist deshalb so wichtig, weil die vielen Scheiben einen genau auf diese Seele zugeschnittenen Innendurchmesser haben. Hat geklappt. Des weiteren sind das die in dem Foto zuvor zu sehenden Teile 27, 27a, 18a, 18, 27b und 19.
Die Zahl der auszuschneidenden oder aus dem Lasercutbogen zu holenden Scheiben beträgt 39. In einem Kartonmodellbauforum meinte jemand, das ist keine 42-Pfund-Kanone, sondern eine 39-Scheiben-Kanone. Recht hat er!
Dann gab es noch weitere ringförmige Teile, die in Form gebogen werden mussten, u.a. für den Schildzapfen. Und am Ende sah das ganze Gebilde schon sehr nach einem richtigen Kanonenrohr aus.
Nun musste das Rohr noch Farbe bekommen. Da ich vorhatte, es mit Acrylfarbe zu streichen, wurde es vorher mit speziellem Spray grundiert. Was soll ich sagen - ich habe zwar später noch Farbe aufgetragen, war damit aber gar nicht zufrieden und habe dann erneut mit dem Spray gearbeitet. Das Endergebnis überzeugt mich nach wie vor.
Vom Fass zum Eimer
Es war dieses Fass, was mir keine Ruhe ließ. Je mehr ich darüber nachgedacht habe, desto unsinniger erschien es mir, ein Fass direkt neben das Geschütz zu stellen. Ja, sicher war es wichtig, dass die Männer zwischendurch mal schnell den Pulverqualm aus der Kehle spülen können - aber dann steht da ein Fass in der Mitte des Decks, vielleicht dicht am Mast, damit es so wenig wie möglich im Weg ist.
Was aber neben dem Zuber mit Wasser zum Auswischen des Rohres und ggf. einer schnellen Löschaktion an jede Kanone gehört, ist ein Eimer mit Sand drin, in dem der Luntenstock steckt und an dessen Rand die Ersatzlunten hängen. Außerdem wurde der Sand benötigt, um schlüpfrig gewordene Decksplanken stumpf zu machen. Also habe ich einfach die Bauteile für das Fass in der Mitte halbiert, den Umfang um einige Dauben verringert und so eine typische Pütz hergestellt. In den oberen Fassreifen wurde der Tragegriff - ein dickeres Tau - eingefasst. Ich hatte noch feinen Sand aus dem Modelleisenbahnladen, den ich damals beim Papegojan-Diorama verwendet hatte. Den mit dunkel gefärbtem Weißleim vermischt und rein in die Pütz. Der Ladestock ist ein Stück Blumenbindedraht mit einer kleinen Gabel am Ende, um da die Lunte einzuklemmen.
Das ist interessant: Der Kamerad der HMS Mercury in 1:72 schleppt genau so einen Eimer wie eben beschrieben.
(Die Figur links im letzten Bild mal einfach nicht beachten, das war der falsche Maßstab...)
Werkzeug und Blöcke
Dann widmete ich mich dem Handwerkszeug der Geschützbedienung, also dem Ladestock, dem Wischer und dem Kratzer. Für alle drei nahm ich als Basis je einen Schaschlikspieß, den ich entsprechend kürzte und dann mit feinem Sandpapier glatt schliff.
Der Ladestock sollte laut Bauanleitung ein Pappteil vorn drauf bekommen – da hab ich mich dagegen entschieden und statt dessen ein Stück Rundholz abgesägt, in ein Ende ein Loch gebohrt, den Schaschlikspieß etwas angespitzt (nachdem ich die Spitze vorher abgeschnitten hatte…) und beides miteinander verbunden. Dann dunkel gebeizt und mit mattem Firnis gestrichen.
Den Wischer hab ich ebenfalls ohne das vorgesehene Pappteil gefertigt; stattdessen hab ich einen passend geschnittenen Streifen Tempotaschentuch um das Ende gewickelt und mit Weißleim „versiegelt“. Mit dem noch feuchten Weißleimwischer bin ich dann zu einem hohen Schrank gegangen und habe ihn dort auf der staubigen Oberfläche umhergerollt – ja, genau so stelle ich mir so einen Wischer vor! Und ich habe einen Staubwischgang weniger…
Der Kratzer ist in dem Bausatz nicht vorgesehen, gehört aber auf jeden Fall mit dazu, wenn man die Arbeitsgeräte darstellt. Dafür habe ich einfach ein Stück Blumenbindedraht spiralförmig gedreht und an einem Ende des Stocks befestigt. Mit einer Weißleimmanschette, die nach dem Trocknen schwarz gestrichen wurde, sieht das Teil recht ordentlich aus.
Dann hatte ich Lust auf die vier Blöcke. Das waren Lasercut-Teile; die vorgesehenen Ausschneideteile zum Aufkleben auf die Seitenflächen hab ich weggelassen, da für mich von vornherein feststand, dass ich hier rundum Farbe aufbringe. Vorher habe ich die Blöcke aber noch mit einer feinen Feile bearbeitet, um die eckigen Kartonkanten etwas abzurunden; außerdem habe ich eine Nut zur Aufnahme des Einfassungstaus hineingefräst. Das erste Blöcke-Bild zeigt drei vorgeschliffene und einen unbehandelten Block (ich weiß, ist etwas schlecht zu sehen, aber mehr war selbst mit Photoshop nicht rauszuholen) – ich hoffe, man sieht den Unterschied. In gestrichenem Zustand machen sie deutlich mehr her. Das letzte Bild zeigt die Anordnung der Arbeitsgeräte. Außerdem sieht man ein Gestell für Entersäbel. Einer hängt schon mal probehalber drin, ist aber noch nicht fertig.
Takelung
Endlich mal wieder Taue schlagen! Das Takeln der Kanone war die pure Freude. Das Brooktau ist dabei natürlich der fetteste Tampen. Ich hab also eifrig Taue geschlagen; dass es letztendlich eine ganze Versuchsreihe wird, hab ich am Anfang nicht geahnt. Hier nun meine Versuchsreihe - im ersten Bild von rechts nach links.
Geschlagen wurde immer mit Amati Takelgarn hell.
Zuerst habe ich aus 3 x 0,75 mm ein Tau geschlagen - eindeutig zu dünn. Auch das nächste aus 3 x 1,0 mm war viel zu spillrig. Also dachte ich mir, schlage ich doch mal ein Tau aus drei geschlagenen Tauen, also 3x aus 3 x 0,5 mm. Das ist dann aber nahezu gleich dick wie das zuvor geschlagene Tau aus 3 x 1,0 mm. Nun fertigte ich mir drei Taue aus 3 x 0,75 mm. Ja, das war eindeutig stärker, aber als ich es zur Probe mal an die dicke Kanone gefädelt habe, sah es irgendwie recht verloren aus.
Der letzte Akt brachte dann mein endgültiges Brooktau. Aus drei geschlagenen Tauen á 3 x 1,0 mm wurde ein schöner fetter Tampen. Die Bauanleitung sieht eine Taustärke von 3 mm vor - nun, das hier hat ein wenig mehr als 3 mm und passt, wie ich finde, perfekt.
Was ganz wichtig ist, wenn man sich ein Tau aus zuvor selbst geschlagenen Tauen schlägt, ist die Drehrichtung. Sowohl das Verdrillen der einzelnen Taue als auch das Schlagen selbst muss hierbei genau andersrum laufen als beim "normalen" Schlagen, da man ansonsten seine Taue wieder aufdröselt und das Ergebnis nur noch als Anschauungsobjekt für falsches Reepen dient.
Was man auf den nächsten Bild deutlich sieht: Die piepsige Öse an der Lafette (und auch die an der anderen Seite) muss ich gegen welche aus dickerem Draht austauschen. Aber das Brooktau selbst wird wohl auch den Rückstoß bei doppelter Ladung auffangen - vorausgesetzt, es wird dann noch ordentlich festgemacht.
Zwischenzeitlich hatte ich Zweifel, ob das Brooktau nicht zu kurz ist, aber wie das Bild nach dem Abfeuern zeigt, ist das genau richtig.
Dann wurden die restlichen Takel geschlagen. Was nun noch fehlte, waren vier große Haken. Die waren im Bausatz aus Laserteilen herzustellen, aber da habe ich mich anders entscheiden und sie aus dickerem Blumenbindedraht gebogen und angemalt.
Restarbeiten - und fertig!
Die Entersäbel wurden in ihre Halterung gebracht; die Kugeln für das Kugelrack bestellte ich wieder einmal bei der Firma Kugel-Winnie. Und schließlich war das kleine Diorama fertig.
Wie eingangs bereits erwähnt: Dieses Modell hat großen Spaß gemacht und war nach der "Riesennummer Mercury" genau das richtige Ding, um wieder auf den Boden des Kartonmodellbaus zurück zu kommen.