Baubericht HMS Mercury, Kapitel 31: Korrekturen, Kauschen, Setzen und Takeln der Marsstengen


 

Januar 2019

 

Im Moment überlege ich noch, wo genau ich jetzt weitermache - es gibt ja mehrere Möglichkeiten.

Aber eins wird jetzt (endlich) erledigt: Schon lange war mir die unterschiedliche Höhe der Butluvspieren ein Dorn im Auge, und ich wusste, dass ich das eines Tages korrigierern würde. Nachdem ich aber nun beim Wantenknüpfen irgendwann mal aus Versehen an der steuerbordseitigen Spiere gezerrt hatte und daraufhin die Gefahr bestand, dass da bald was abreißt, sorge ich nun für Ordnung. Die Spiere wird vorsichtig entfernt, die Kausche neu eingebunden und angebracht, dann die Spiere neu ausgerichtet und befestigt und schließlich die beiden Stage mit einem Zurring steifgeholt.  Nun kann man meiner Mercury wieder in die Augen schauen...


 Kauschen

 

Man ahnt ja gar nicht, wie viele Kauschen man an so einem Schiff braucht! Würde ich nur nach der Bauanleitung von Shipyard bauen, wären es nur wenige bis keine, dort wird viel mehr mit Blöcken gearbeitet. Aber ein Blick in diverse Fachbücher, speziell in meine Lieblingslektüre, dem Schrage, belehrt einen da eines besseren. Und an mehreren Stellen in diesem Baubericht tauchen die kleinen runden Messingdinger ja schon auf. Im Kapitel 28 habe ich schon mal die Herstellung und das Einbinden von Kauschen gezeigt. Nun, man lernt ja ständig dazu, und so habe ich mittlerweile eine andere Methode für die Herstellung der Kauschen und auch eine andere Methode des Einbindens.

 

Zuerst zur Herstellung: Hier nutze ich eine Anregung eines Modellbauers im Forum segelschiffsmodellbau.com. Bei Conrad Electronic habe ich mir Messingrohr gekauft. "Rohr" suggeriert irgendwas in Mindeststärke Toilettenspülung, aber wir reden hier von einem Außendurchmesser von 1,8 mm und einem Innendurchmesser von 1,2 mm. Zu diesem Rohr habe ich mir auch ein gleich langes Stück Federstahl geholt, welcher passgenau in das Messingrohr geschoben werden kann. Sozusagen die Spaghetti in die Maccharoni gesteckt.  Jetzt benötigt man nur noch eine Schneidematte und ein scharfes Cuttermesser. Den Federstahl im Messingrohr lassen, dadurch biegt sich das weiche Metall beim Schneiden nicht zusammen. Jetzt einfach nur mit dem Messer rollend schneiden, also mit der anderen Hand das Rohr leicht hin und her rollen. So hat man in kurzer Zeit reichlich Kauschen.

 

Nun das Einbinden. Da habe ich mir eine eigene Methode ausgedacht. Man benötigt einen Schraubstock, eine Kreuzpinzette, zwei Zahnstocher, Ponal Turbo, ein Stück Garn für die Kausche und einen dünnen Faden zum Einbinden.

Los geht's: Den einen Zahnstocher spitzen wir, wenn erforderlich, noch ein wenig an, und zwar so, dass man eine Kausche draufstecken und leicht festdrücken kann. Nun spannen wir diesen Zahnstocher in den Schraubstock, und zwar so, dass die Spitze schräg nach oben zeigt. Mit dem zweiten Zahnstocher tragen wir jetzt Ponal Turbo, diesen wunderbaren Beinahe-Sekundenleim, auf die Kausche auf - und nur auf die Kausche, wir wollen sie ja nicht am Zahnstocher festleimen. Jetzt nehmen wir das vorgesehene Tau und legen es mit leichtem Druck um die Kausche. Nun fassen wir mit einer Kreuzpinzette (das ist eine, die beim Zudrücken öffnet) beide Enden des Taus und lassen sie dann einfach baumeln. Mit dem dünnen Faden und mit Unterstützung von Ponal Turbo binden wir nun unsere Kausche fertig an.

Dann Pinzette lösen, das Gebilde vorsichtig vom Zahnstocher ziehen, die überstehenden Enden vom Einbindefaden abschneiden - und fertig! Ich war selbst überrascht, wie schnell ich z.B. die vier Kauschen, die ich später für das Festsetzen der Kreuzbramwanten benötige, fertig hatte.


 Auf(wärts) geht's! Der Besan wächst in die Höhe

 

Irgendwann fällt dann die Entscheidung: Ich beginne mit den Marsstengen und nehme mir als erstes den Besan vor. Bevor da aber die Stenge gesetzt werden kann, bedarf es noch einiger Vorarbeiten. Als erstes kommt ein geplanter Abriss: Ich entferne das Geländer der Marsplattform. Das hatte mir schon einige Zeit nicht mehr so richtig gefallen, und nachdem von mehreren Seiten der Hinweis kam, dass hier auf jeden Fall noch eine Stütze in der Mitte fehlt, war ein Neubau beschlossene Sache. Jetzt benötige ich da oben jeden Platz zum Hantieren, also runter damit. Die frisch hergestellten Stropps mit den Kauschen werden von hinten an den Marsjungfern angebracht. Zwei Augbolzen werden von oben in die Marsplattform eingelassen; hier erlaube ich mir mal eine kleine Mogelei, denn an sich sollten das kleine, kurze Stropps mit eingebundener Kausche sein. In dem Maßstab würden die dann aber doch wieder wie Augbolzen aussehen...

Das Eselshaupt wird ebenfalls mit Augbolzen bestückt, vier an der Anzahl, die alle an der Unterseite platziert werden. Das sind alles Vorarbeiten für das laufende Gut, ebenso wie das Einarbeiten eines Scheibgattes in die Marsstenge. Dort wird später das Drehreep der Kreuzmarsrah durchgeführt. Um das Scheibgatt darzustellen, bohre ich zwei Löcher in das dünne Rundholz und spare den Bereich zwischen den beiden Bohrungen etwas aus. Dann schwarz anmalen, und es wirkt (fast) wie echt. Eine Fädelprobe mit entsprechender Taustärke zeigt, dass später das Tau problemlos durchläuft.

Sehr skeptisch war ich auch wegen der winzigen Öffnungen an den Enden der Quersaling - ob da später die Bramwanten durchpassen? Aus dünnem Polyestergarn hatte ich mir probehalber ein paar Taue geschlagen, die später als Bramwanten zum Einsatz kommen sollen. So eine Quersaling ist gerade mal einen Millimeter dick. Vorsichtig bohre ich von Hand mit einem 0,5mm-Bohrer die Löcher auf; die Finnpappe, aus dem die Teile sind, hatte ich schon vor dem Zusammenbau großzügig mit Sekundenleim durchtränkt, so dass beim Bohren nichts auffasert. Dennoch staune ich hinterher selber, als bei einer Probe mein geschlagenes Tau problemlos durch alle vier Öffnungen geht.

 

Für die Stengewanten schlage ich mir die Taue aus "Gütermann extra stark" Polyestergarn, welches in Fadenstärke und Qualität dem 0,25mm-Garn von Amati entspricht, bezogen auf den Meterpreis allerdings wesentlich preiswerter ist. Ansonsten ist es genauso wie bei den Untermasten: Das jeweils vordere Want wird bis runter zur Jungfer durchgekleedet, die Wanten werden paarweise gefertigt, das mit feiner Plattbindselung gefertigte Auge wird bis 0,25 der Wantlänge gekleedet. Da am Besan drei Stengewanten an jeder Seite sitzen, werden die beiden hinteren Wanten aus einem Taustück gefertigt; für das Auge wird in der Mitte ein gekleedetes Stück Tau eingebunden.

Die drei Wanten an jeder Seite sind relativ schnell angebracht.

Dann habe ich schon mal das Kreuzstengestag vorbereitet. Zuerst einmal gedanklich. Führung und Befestigung ist klar: Wie die bisherigen Stage auch wird es mit einem gekleedeten Auge inklusive Stagmaus um den Stengetop gelegt. Dann geht das Stag durch einen Leitkragen, der direkt unter dem Masthummer des Großmastes befestigt ist. Am Ende des Stages wird eine Kausche eingebunden. Diese wird dann mittels Taljereep mit dem Stagkragen, in dessen Bucht ebenfalls eine Kausche eingebunden ist, verbunden und somit das Stag steif gesetzt. Der Stagkragen ist ebenfalls am Großmast befestigt.
Zum Einbinden von Kauschen habe ich weiter oben in diesem Kapitel eine kleine Anleitung gezeigt. So, jetzt durchdenken wir das Thema Kreuzstengestag nochmal, und relativ schnell merkt man: Holla, das ist ja jetzt blöd. Das "störende Element" ist der Leitkragen, durch dessen Kausche das Stag läuft. Stagauge mit Maus am einen Ende und eingebundene Kausche am anderen Ende kann man also nicht beides "an Land" fertigen. Also habe ich mich dafür entschieden, die Kausche am unteren Ende freihändig an Bord einzubinden. Im zweiten Bild mache ich das eben Geschriebene hoffentlich deutlich. Das Einbinden der Kausche geht dann recht problemlos. Zuerst vorsichtig mit Ponal Turbo fixieren und dann ebenso vorsichtig einbinden. Das letzte Foto zeigt das fertige Stag; leider sieht man die Kausche nicht allzu gut.

Aber bevor das Stag nun seinen endgültigen Platz findet, braucht der Besan noch Pardunen. Und jetzt geht der Spaß los.

Pardunen dienen generell der seitlichen Abstützung der Masten. Zuerst kommt die stehende Pardune dran, auf jeder Seite eine. Diese müssen erst einmal bis unter die Kante der Marsplattform gekleedet werden. Jede Pardune wird einzeln aufgelegt. Im Bild sind sie zu sehen, die stehenden Pardunen.

Dann gibt es aber auch noch die fliegenden Pardunen, auch Schlingerpardunen genannt. Die heißen so, weil bei starkem Schlingern des Schiffes, zum Beispiel beim Segeln mit starkem Seitenwind, insbesondere die der Luvseite angeholt wurden, aber auch, um sie bei einem Wendemanöver und ungünstigen Winden einfach mal auf die andere Seite hinüber zu nehmen als zusätzliche Abstützung. Also mussten diese Schlingerpardunen anders befestigt werden. Das geschah folgendermaßen: Am unteren Ende der Pardune war eine Kausche eingebunden. In diese wurde eine Talje, welche aus zweischeibigen Blöcken gebildet wurde, eingehakt; das andere Ende dieser Talje wurde in einen Augbolzen auf dem Rüstbrett, hinter der letzten Want, eingehakt.
Nun, diesen Augbolzen hatte ich angebracht. Dann aber stutze ich und blättere mal in der Bauanleitung von Shipyard. Es folgt ja noch, wie bereits angekündigt, eine weitere Etage, die Bramstenge. Und auch von der geht eine Pardune... ähm, ja, Moment, wo geht die hin? Die müsste ja auf diese kleine Hilfsrüste, aber da ist ja bereits die stehende Pardune der Kreuzstenge befestigt. Jetzt wird es kompliziert. Die Bauanleitung macht es dann deutlich: Shipyard verzichtet komplett auf die stehende Pardune der Kreuzstenge, sieht lediglich die fliegende Pardune mit der Talje auf dem Rüstbrett vor und lässt die einzige Jungfer auf der kleinen Hilfsrüste für die Pardune der Bramstenge frei. Am Großmast und am Fockmast haben die Hilfsrüsten je zwei Jungfern; aus der Bauanleitung ist klar zu erkennen, dass hier sowohl eine stehende wie auch eine fliegende Pardune gefahren werden soll.

Bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts wurden grundsätzlich fliegende Pardunen gefahren, dann aber kamen, von England ausgehend, die stehenden dazu. Mein Schiff ist a) englisch und b) mit 1779 deutlich jünger. Also soll auch mein Besan sowohl stehende als auch fliegende Pardunen bekommen. Daher steht dann mal wieder eine Abrissaktion auf dem Plan. Die beiden Hilfsrüsten (auch "Pardunenstuhl" genannt) werden vorsichtig abgetrennt. Zur Herstellung neuer Rüsten orientiere ich mich an denen des Fockmastes. Ehe das Schiff nicht fertig gebaut ist, werfe ich keinen der Lasercut-Bögen weg. Und so suche ich den heraus, auf dem diese Teile zu finden waren, zeichne die Umrisse auf ein Blatt Papier nach und klebe das auf ein entsprechend dickes Stück Karton. Dann schneide ich mir die Teile zurecht, dabei muss ich beachten, dass ich einerseits nicht die Stückpforte für die dort aufgestellte  Karronade mit einem davor laufenden Tau sinnlos mache und zum anderen die Stütze für eine Drehbasse nicht versetzen kann, so dass diese irgendwie mit eingearbeitet werden muss.

Am Ende eines langen Werfttages ist es dann geschafft. Die neuen Hilfsrüsten tragen jeweils zwei Jungfern für die stehenden Pardunen der Mars- und der Bramstenge; die der Marsstenge ist angebracht. Für die fliegenden Pardunen versehe ich jeweils zwei Einfachblöcke mit einem Haken, verbinde die beiden Blöcke mit einem Taljereep, dann den einen Haken in einen Augbolzen am Ende der Besanrüste und den anderen in eine Kausche am Ende der Pardune eingehakt und das dann steifgesetzt. Zum Schluss wird das vorbereitete Kreuzstengestag aufgelegt und festgezurrt.

Einen Tag später gibt es kleine Korrekturen. Bei Lichte betrachtet erscheinen die Kauschen an den Enden der fliegenden Pardunen doch etwas überdimensioniert. Glücklicherweise lassen sie sich gut lösen und durch kleinere ersetzen. Und die Kausche am Ende des Kreuzstengestags muss ich ein Stück höher anbringen. Der Grund ist ganz einfach: Ich muss dieses Stag doch mehr anziehen als gedacht, damit die Pardunen die Marstenge nicht so weit nach hinten ziehen. Dadurch haben sich dann die Kausche am Ende des Stages und die im Stagkragen am Großmast fast berührt, so dass ich mit dem Taljereep nichts mehr ausrichten konnte.
Aber jetzt haben die Schlingerpardunen kleinere Kauschen, die Taljen sind wieder eingehängt und nur leicht straff geholt, das Kreuzstengestag ist schön steifgesetzt, und die Stenge sitzt jetzt so, wie sie soll.


 

noch immer Januar 2019

 

"Dank" einer hartnäckigen Krankheit habe ich viel Zeit für mein Schiff. Wie gut, dass ich dieses Hobby habe - dabei finde ich die nötige Ruhe und Entspannung, die ich derzeit so dringend brauche. Aber erstrebenswert ist dieser momentane Zustand nicht...

 

Der Besan hat nun also seine Marswanten, Pardunen und Stag sind dran. Mache ich nun am Großmast mit der Marsstenge weiter? Aber da fehlen mir noch 4mm-Jungfern, die sind bestellt, aber noch nicht da. Also mache ich das, was ich derzeit ja am besten kann. Nein, nicht etwas abreißen, sondern Webleinen knüpfen. Drei Knoten je Webleine, das ist überschaubar und geht dann doch etwas schneller als kurz zuvor noch an den Unterwanten, wo ja der Großmast immerhin 9 Wanten an jeder Seite zu bieten hat. Aber dennoch: Auch hier gilt mein Grundsatz "Gründlichkeit geht vor Schnelligkeit."

Die eben noch so sorgsam verzurrten Pardunen werden dafür wieder losgeworfen und locker über die Marsplattform des Großmastes geworfen; sie wären sonst nur im Weg. Merke also: Pardunen erst endgültig fixieren, wenn die Webleinen alle dran sind.

Kaum ist die Steuerbordseite fertig, enternt Jimmy, mein bester Topgast, auf, um die neuen Leinen zu testen. Und einen Tag später darf er auch prüfen, ob ich an Backbord alles ordentlich gemacht hatte. Nun, es kommen keine Beschwerden.

Übrigens sieht man auf den Bildern, auf denen Jimmy da hoch oben herumturnt, in welch schwindelerregender Höhe die Seeleute damals ohne jegliche Absicherung arbeiten mussten. Schon beeindruckend.


Mehr Licht!

 

Mit meiner Arbeitsplatzausleuchtung bin ich schon einige Zeit nicht mehr zufrieden. Und so suchte und fand ich im Internet eine Lampe, die mir sofort gefiel. Heute wurde sie geliefert, und ich muss sagen, ich bin sehr zufrieden. Es ist eine Lupenlampe; was das bedeutet, wird beim Betrachten der Bilder deutlich.  Die Lichtausbeute ist toll, die Lampe ist in alle Richtungen schwenkbar, die beiden Hebelarme sind jeweils 45 cm lang. So kann ich also auch bequem die höchsten Höhen der Mercury ausleuchten, wie ein Test mit aufgesteckter Mars- und Bramstenge des Großmastes zeigt.

Mit der Lupe komme ich wunderbar klar. Der Innendurchmesser liegt bei 12 cm. Das ermöglicht ein entspanntes Durchschauen, und man hat ein dreidimensionales Bild, kann, ohne sich die Augen zu verbiegen, herrlich damit arbeiten. Ich habe heute damit die Augen der Wantenpaare der Großstenge eingebunden; die Plattbindselungen sehen richtig gut aus.


Vorarbeiten zum Aufriggen der Großstenge

 

Das Bild mit dem Blick durch die Lupe zeigt meinen Versuch, die Scheibenklampen, die am Stengetop angebracht werden müssen, im Shipyard-Bausatz aber nicht vorgesehen sind, selbst zu bauen. In dem Bild sind die beiden Metallstifte, die ich durch das Holz gebohrt habe, noch etwas zu dicht beeinander, das wurde später korrigiert. Aus kleinen Kartonstückchen wurden dann die Scheibenklampen hergestellt und am Ende schwarz gestrichen.

Dann waren am Eselshaupt noch Augbolzen anzubringen, und die Wantjungfern, die heute geliefert wurden, mussten noch ausgekeept werden.

Was noch hergestellt werden muss, ist der Stengehanger; der wird am Top zuerst aufgelegt, ehe die Wanten kommen. Die Taue für die Pardunen sind schon geschlagen, müssen teilweise noch gekleedet werden. Immer wieder blättere ich im Schrage, um nichts zu vergessen.


 Viel Arbeit an und mit der Großstenge

 

Nachdem alle Vorbereitungsarbeiten abgeschlossen sind, wird es Zeit, die Großstenge zu setzen. Aber eines muss noch getan werden. Alle Stengen haben ein Schlossholz. Das ist ein ein vierkantiges Stück Holz oder Eisen, welches durch ein Loch im Stengefuß, dem Schlossholzgat, gesteckt wurde. Auf ihm ruhte die gesamte Last der Stenge; es lag auf den Längssalingen auf. Für meinen ja doch recht kleinen Maßstab hatte ich hier einfach ein Stück dicken Blumenbindedraht vorgesehen. Aber was an der echt dünnen Stenge des Besan noch angeht, hat mir dann an der Großstenge nicht mehr gefallen. Und so unternehme ich einen lustigen Ausflug in das Reich der Holzwürmer: Ich klemme einen Zahnstocher in meinen Schraubstock und feile mit einer Schlüsselfeile ein Ende viereckig. Den Stengefuß bohre ich vorsichtig auf, bis ich mein eckig gefeiltes Stück Zahnstocher da durchstecken kann. Und angemalt sieht es dann recht ordentlich aus; auf dem zweiten Bild liegt neben der Stenge das Stück Draht, welches vorher im Stengefuß stak.

Schließlich wird die Marsstenge aufgesteckt und das Eselshaupt festgeleimt, und dann greife ich endlich zu meinen vorbereiteten Wantenpaaren. Über den Stengetop legen, Jungfer nehmen, Wanttau drumlegen, Höhe prüfen, korrigieren, gut finden, festhalten, vorsichtig vom Mast nehmen, immer noch festhalten, mit einem Tupfer Ponal Turbo die Jungfer am Tau fixieren, provisorisch zwei vertikale Schläge mit dünnen Garn um den Kreuzungspunkt der Wanten, festkonten, über den Masttop hängen, mit Probetaljereep die Höhe prüfen, gut finden, fertig einbinden. Und nach jedem Wantpaar geht es rüber auf die andere Seite, immer im Wechsel. Vier Wantpaare - das ist ein wenig wie die Biathlon-Staffel: Nach jedem Wechsel kommt es wieder darauf an, zweimal alles genau zu treffen. Ich habe einen richtigen Lauf, alles passt auf Anhieb, und nach nicht mal 2 1/2 Stunden stehen alle 8 Wanten der Großstenge. Ich bin selbst überrascht, wie flink das heute ging. Und so wächst meine Mercury weiter in die Höhe.

 

Zurück zu diesen Scheibenklampen. Je öfters ich sie mir anschaue, desto weniger gefallen sie mir. Ein netter Kommentar im Kartonmodellbauerforum  mit einer nur schlecht versteckten dominanten Botschaft ("gefallen mir ganz gut") bringen dann den letzten Anstoß: Die Teile werden neu gebaut. Dafür wage ich mich erneut in das ungewohnte Feld der Holzbearbeitung. Wieder bewaffne ich mich mit einer Schlüsselfeile und malträtiere ein Stück Holz so lange, bis das Ergebnis mich zufrieden stellt. Auch diese beiden Metallstifte erfüllen nicht mehr meinen Anspruch - das sind nie und nimmer die Rollen, die solche Scheibenklampen haben. Aber auch dafür findet sich eine Lösung: Ich greife zu den kleinsten meiner selbstgefertigten Kauschen und stecke diese über die Metallstifte. Jetzt sieht es gut aus. Im ersten Bild ist links die neue holzvariante und rechts die Kartonversion zu sehen. Bild zwei zeigt das fertige Ergebnis. Und nochmal zur Erinnerung: Mein Equipment für Holzbearbeitung ist äußerst überschaubar bis nahezu nicht vorhanden.Und dafür gefallen mir die Scheibenklampen richtig gut und kommen dem, was im Schrage-Buch auf Seite 33 dazu gezeigt wird, recht nahe.


 Pardunen...

 

Über den Spaß mit den Pardunen am Besan habe ich berichtet. Doch auch die Pardunen für den Großmast bieten noch einiges an Unterhaltung. Das ist mir jedoch anfangs noch nicht klar. Ich bereite alle Pardunen vor. Jede Seite hat eine Vorderpardune; diese stelle ich aus einem langen Tau her. Für das Auge wird in der Mitte ein kleines Stück gekleedetes Tau eingebunden. Schwierig gestaltet sich dabei das Kleeden: Der zu kleedende Abschnitt ist deutlich länger als die Strecke, die meine Kleedemaschine in einem ununterbrochenen Arbeitsgang schafft. Aber auch dafür findet sich eine Lösung. Ich kleede in zwei Teilstücken, und zwar so, dass der Stoß zwischen beiden Abschnitten dort ist, wo später eine Plattbindselung hinkommt. Gekleedet werden die Vorderpardunen wie auch die stehenden Pardunen bis unter die Kante der Marsplattform. Stehende Pardunen sind auf jeder Seite zwei; hier wird wieder paarweise gearbeitet, d.h., beide Pardunen einer Seite sind aus einem Tau mit eingebundenem Auge gefertigt. Die fliegende Pardune wird für jede Schiffsseite einzeln aufgelegt und ist auch nicht gekleedet.

Nachdem alle Pardunen vorbereitet sind, lege ich sie in der richtigen Reihefolge um den Stengetop, ohne sie aber festzuzurren. Nun kommen die Stage an die Reihe. Die Großstenge hat davon zwei, das Großstengestag und das Großstengeborgstag. Wie bei den anderen Stagen auch wird hier wieder ein gekleedetes großes Auge mit einer sog. Stagmaus am Ende gefertigt. Auch die Stage lege ich um den Stengetop und ziehe sie probehalber so stark an, wie ich sie später endgültig festzurren werde. Ich tue das, um zu sehen, wie sich die Spannung der Stengewanten verändert, wenn dadurch die Großstenge bugwärts gezogen wird. Ich stelle fest, dass das im Prinzip keinerlei Auswirkungen hat. Dann nehme ich Stage und Pardunen wieder runter und lege die Pardunen so ab, dass ich hinterher noch genau weiß, welche für welchen konkreten Platz bestimmt ist.

Und dann folgt das, was ich in letzter Zeit am meisten geübt habe: Webleinen einziehen. 216 Knoten später lasse ich die letzten Leimpunkte durchtrocknen, ehe ich die überstehenden Fäden möglichst dicht am Knoten kappe.

Bevor es jetzt mit den Pardunen ernst wird, noch ein Blick auf die frisch geknüpften Stengewanten.

Jetzt, so denke ich, geht es schnell. Die vorbereiteten Pardunen anbringen, dann die beiden Stage, und die Großstenge wäre dann fertig. Denke ich.
Für die zwei stehenden Pardunen sind noch freie Jungfern auf dem Rüstbrett, die fliegende wird mittels Talje und Haken an das Ende des Rüstbrettes in einen Augbolzen eingehakt. Schließlich aber verzweifele ich dann an der Vorderpardune. Die soll mit einem Manteltakel an den vorderen drei Rüsteisen festgesetzt werden. Kein Problem, die Takel vorbereitet und los. Aber dann. Es gibt wie bei jeder Talje eine holende Part, also das Ende, an dem man die Talje straff zieht - und das man dann irgendwo festmacht. Und das ist bei meiner Mercury schlichtweg sinnvoll nicht möglich. Schrage schreibt, dass die Anholpart an Auflangern befestigt wird. Im Bereich der vorderen Wanten habe ich einen einzigen Auflanger, und der ist so etwa hinter der dritten Wantjungfer von vorn zu finden. Der Pfeil im ersten Bild zeigt, wo dieser Auflanger (auch timberhead genannt) sitzt. Der Manteltakel ist vor den Wanten angesetzt; die Anholpart ist bugwärts gerichtet. Da weiß ich nun nicht, wie ich die festsetzen soll, denn dann kommt erst einmal lange Zeit nichts auf der Bordwand. Später die Finknetzhalter, aber da hin geht es auch nicht, weil da zuvor die Fallreepstreppe ist, was bedeuten würde, dass jeder, der über diesen Weg an Bord kommt oder das Schiff verlassen will, über ein straff gespanntes Tau steigen muss. Letztendlich mache ich mich dann im Expertenforum schlau und lasse mir dort das bestätigen, was ich innerlich auch schon für mich festgelegt hatte: Ich lass die Vorderpardunen weg.
Das wiederum scheint mir mein Schiff übel zu nehmen. Als ich die letzte der vier stehenden Pardunen straff ziehen will, fliegt mir die Jungfer samt Rüsteisen aus dem Rüstbrett. Aber auch das wird dann wieder repariert.

Spannend gestaltet sich dann noch das Anbringen der beiden Stage. Das dickere Großstengestag wird zuerst um den Top gelegt und dann durch einen Leitblock am Top des Fockmastes nach unten zum Deck geführt. Dort wird es mittels eines Takels, welches in einen Augbolzen neben dem Fockmast eingehakt wird, festgemacht. Das dünnere Großstengeborgstag wird danach aufgelegt; da es aber später auch als Segelstag dient, wird sein Auge von unten durch das des Großstengestags geführt und über diesem um den Stengetop geführt. Für dieses Stag sitzt dann einen Kragen mitLeitblock an der Achterkante des Fockmastes an Deck; die Befestigung dort war genauso wie beim Großstengestag. Das bedeutet, dass an die Stagenden jeweils ein Violinblock eingebunden werden muss. Man hat also mal wieder die Wahl, was man "an Land" und was an Bord fertigt. Stagauge mit Maus oder Violinblock einbinden? Nun, die Entscheidung fällt nicht schwer. Und zum Glück ist das Stag lang genug. Auge vom Top nehmen, das Ende so weit es geht nach unten ziehen, und siehe da, man kann bequem mit der neben das Schiff gestellten dritten Hand den Violinblock einbinden.

Für das andere Ende der Talje wird an einem einscheibigen Block an einer Seite ein Haken und an der anderen Seite das Taljereep befestigt. Nun das Reep durch das untere Loch des Violinblockes, dann durch den Einfachblock, hoch zum oberen Violinblockloch, dann durch den Augbolzen an Deck und anschließend straff ziehen und mit ein paar Rundschlägen um das Reep festsetzen. Der Platz dafür ist ein wenig eng, aber am Endesitzen beide Stage schön straff und fest.

Damit ist dann die Großstenge erst einmal fertig bearbeitet; nun geht es zur Fockstenge.


 Scheibenklampen und Ankertau

 

Manchmal hat man sowas beim Modellbau - da beißt man sich an einer Kleinigkeit fest und wird ewig nicht fertig damit. So geht es mir mit den Scheibenklampen. Das sind diese Teile, die seitlich am Stengetop sitzen und durch die später verschiedene Taue, die zu den Stagsegeln gehören, laufen. Da Shipyard diese Dinger nicht im Bausatz vorgesehen hatte, habe ich sie anfangs aus Papier selbst konstruiert, wie man weiter oben auf dieser Seite sehen kann. Das hat mir aber bald gar nicht mehr gefallen, also fing ich an, welche aus Holz zu schnitzen und da sogar Kauschen reinzusetzen, um die Umlenkrollen darzustellen - auch das ist hier ein Stück weiter oben zu sehen. Aber je öfter ich mir die Teile anschaue - und auch die Fockstenge habe ich entsprechend ausgerüstet - um so weniger gefallen sie mir. Die Zeichnung im Schrage zeigt ja deutlich die Dimensionen der Klampen - jede für sich ist von der Breite etwa die Hälfte der Kantenlänge des Stengetops. Meine sind viel fetter, und auch die Kauschenidee erscheint mir nicht mehr passend, viel zu wuchtig. Also ein dritter Anlauf. Wieder bin ich mit einer dünnen Holzleiste und einer Schlüsselfeile am Arbeiten. Nach ein paar missglückten Exemplaren ist es dann endlich soweit, die neuen Klampen werden angebracht, an beiden Stengen. (Der Besan hat sowas nicht.) Jetzt passen sie von den Dimensionen her, Taue durchstecken funktioniert auch, und ich glaube, jetzt lasse ich sie so.

 

Lustig, auf was man manchmal so aus Zufall stößt. Da finde ich andernortes dieses Foto, aufgenommen an Bord der französischen Hermione. Klick mich! Und auf mein Erstaunen, dass die Wanten dort getrenst sind, erklärt man mir, dass das so nach 1800 üblich wurde, stehendes Gut und besonders segelführende Taue, also Stage, getrenst wurden, Ankerkabel sogar schon ab 1720 - 1730. Das hatte den angenehmen Effekt, dass die Taue beim Durchziehen durch eine Klüse oder eine Kausche nicht so sehr in Mitleidenschaft gezogen wurden. In meine Erleichterung über die Tatsache, dass meine Mercury von 1779 war und ich also nicht nochmal von vorn anfangen muss mit dem stehenden Gut, krächzte dieses kleine Teufelchen auf meiner linken Schulter: "Und was ist mit dem Ankertau?" Und der kleine Engel auf der anderen Schulter flüsterte mir ins Ohr: "Sieht bestimmt viel besser aus!"
Tja, was soll man da machen? Das Ankertau war ja bereits geschlagen, aus 3x 1,5mm Amati. Also spanne ich das in meine Kleedemaschine, klebe in jede der Keepen einen 0,25mm Amati-Faden, halte diese drei Fäden mit einer Hand straff und kurbele mit der anderen Hand langsam drauflos. Den Motor lasse ich hier bewusst aus. Meine Lupenlampe ist mir dabei eine sehr große Hilfe. Und wenige Augenblicke später habe ich ein Ergebnis, mit dem ich so richtig zufrieden bin.


 Schluss! Aus! Finito! Nie mehr Webleinen knüpfen!

 

Februar 2019

 

Nach 1.776 Knoten ist es geschafft: Alle Webleinen, die meine Mercury braucht, sind angebracht. Ich will nicht verhehlen, dass mich das mächtig stolz macht. Und an der Stelle kann ich nur nochmals allen Modellbauern, die auch Webleinen anzubringen haben, den guten Rat geben, sich innerlich auf diese Arbeit einzustellen. Wer das nur als Stress betrachtet, sich dabei langweilt und lediglich daraufhin wirkt, möglichst schnell fertig zu werden, tut sich und vor allem seinem Modell keinen Gefallen. 

Ich finde, jetzt, da die zweite Etage mit allen Stengen, Wanten und Webleinen ausgerüstet ist, wirkt die Mercury plötzlich ganz anders, nicht mehr so ... gestutzt.

Der Fockstenge fehlen noch die Pardunen und Stage. Aber ein klein wenig Stolz kann ich schon jetzt in meinen prüfenden Blick legen.

 

Das ist hier ist ja ein (fast) tagesaktueller Baubericht, den ich rückwirkend auch nie ändere - von Korrekturen bei Tippfehlern abgesehen -  insofern erklärt sich auch, das etwas, was eben noch als "jetzt lasse ich das so" beschrieben wurde, plötzlich doch wieder abgerissen wird. Ich lerne eben bei diesem Modell täglich dazu und kann nur immer wieder darauf verweisen, dass die HMS Mercury für mich in vieler Hinsicht modellbautechnisches Neuland ist. Und so wurden die im vorigen Abschnitt erst neugebauten Scheibenklampen erneut entfernt. Auch sie waren noch zu groß; beim Anbringen der Pardunen an der Fockstenge reichte plötzlich der Platz am Stengetop nicht mehr aus. Nun, wenn ich ehrlich bin, gefielen mir die Klampen auch in der neuen Fassung bei jedem Mal Hingucken ein bisschen weniger, insofern hält sich meine Trauer in Grenzen. Da muss ich mir dann noch etwas einfallen lassen. 

Ansonsten stellt sich das Fertigen und Anbringen der Pardunen und Stage als unspektakulär dar. Interessant ist aber, wie die beiden Stage steifgesetzt werden. Dazu werden das Vorstengestag und das dünnere Vorstengeborgstag durch das "Violine" genannte Bauteil vorn am Bugspriet geführt und dann mit Taljen, die an Augbolzen im Bug festgehakt werden, belegt. 

Auf den nachfolgenden Bildern hat man den Eindruck, dass am Stengetop durchaus noch viel Platz ist. Aber nicht mehr lange...

Da ich einmal mit der Vorstenge beschäftigt bin, fertige ich noch die Flachblöcke für das Drehreep der Fockmarsrah. Diese kommen in lange, gekleedete Augstroppen und werden dann mit einer Flechtung am Stengetop befestigt. Darüber kommen dann noch die beiden Drehreep-Taue, die später durch einen mittig an der Rah sitzenden Doppelblock und dann durch den Flachblock geführt werden und zu den Marsfallen geführt werden. Ich hoffe, dass ich das später konkret am Modell eigen kann. Um diese Teile alle anzubringen, muss ich die Stage noch einmal lösen. Und da ich dummerweise die Takel am Bug schon endfixiert habe, bleibt nur der Einsatz der Schere. Das ist jetzt nicht weiter kritisch, denn ich muss hinterher nur ein neues Taljereep an den jeweiligen Einfachblock der Talje anbringen und dieses Reep dann wieder durch den Violinblock am Stagende führen, um die Talje straff zu setzen.

Was ebenfalls noch an den Stengetop kommt, ist ein Stagkragen mit einer Leitkausch für das Großbramstag. Und jetzt sieht man deutlich, dass meine überdimensionierten Scheibenklampen dort keinen Platz mehr haben würden. 

Als nächstes werde ich die Flachblöcke für das Drehreep der Großmarsrah sowie die dazugehörigen Taue anbringen; danach wird es dann Zeit für ein neues Kapitel dieses Bauberichtes, denn die zweite Etage ist damit hinsichtlich des stehenden Gutes vorerst abgeschlossen.


 

Ein Moment des Innehaltens

 

Februar 2019: In diesen Tagen wurde bekannt, dass Karl-Heinz Marquardt, der bei Modellbauern allseits hochgeschätzte Altmeister des historischen Segelschiffsmodellbaus, in seiner Heimat Australien nach einem langen, erfüllten Leben im Alter von 91 Jahren verstorben ist. Sein reichhaltiges Schaffen war und ist für den Schiffsmodellbauer ein ständiger Quell des Wissens. Der "Blaue Marquardt" gilt als eins DER Standardwerke und darf in keiner maritimen Modellbaubibliothek fehlen, aber auch viele andere seiner Werke füllen die Bücherregale der Modellbauer, so auch bei mir. 

 

Mit Karl-Heinz Marquardt verliert die Modellbauwelt einen der ganz Großen. Möge er in Frieden ruhen.