Webleinen
November 2018
Nachdem nun alle sonstigen Bestandteile des stehenden Gutes in der ersten Etage angebracht sind, wird es Zeit für die Webleinen. Gemeinhin auch "Wantenknüpfen" genannt. Manche Modellbauer knüpfen ja die Wanten erst, wenn alle Stengen, Wanten und Pardunen stehen. Ich habe mich aber dafür entschieden, das zu trennen. Ich weiß, wieviel Knoten vor mir liegen - da will ich das lieber in zwei Etappen aufteilen. Bevor also die zweite Etage in Angriff genommen wird, bekommen sämtliche Unterwanten und Püttingswanten Webleinen verpasst.
Im "Götterforum" hole ich mir noch ein paar gute Tipps, und dann geht es los. Ich mache erst einmal ein paar Trockenübungen mit Knoten und verschiedenen Tauen. Im Original wurden die Webleinen ja an den Enden mit Augspleißen an den Wanten befestigt. Im Modellbau im Allgemeinen und in meinem doch recht kleinen Maßstab von 1:72 im Besonderen darf man da aber gern "schummeln" und den Webleinstek, der auch bei allen sonstigen Knoten der Webleinen verwendet wird, nehmen. Wichtig ist, dass man nach dem endgültigen Verleimen das überstehende Ende sauber kappt.
Um mich wieder in die Materie hineinzuarbeiten (ich habe ja bisher erst einmal, an der Papegojan, Wanten geknüpft), wähle ich für die erste Etappe einen kleinen, überschaubaren Bereich: Die Püttingswanten des Besanmastes. Ich bastele mir eine einfache Abstandsschablone, um ständig prüfen zu können, ob die Webleinen korrekt sitzen. Da wird viel hin und her geschoben, Knoten werden festgezurrt und wieder gelockert, bis alles so sitzt, dass ich zufrieden bin. Und das geht so: Zuerst werden die Anfangsknoten mit Weißleim fixiert, nachdem ich immer wieder gemessen und die Knoten im Makrobereich hin und her geschoben habe. Dann werden, nach Durchtrocknen der ersten Fixierung, die Knoten des nächsten Wanttaus in Angriff genommen. Eine Mischung aus Augenmaß und Lineal bringt mir am Ende ein Ergebnis, mit dem ich zufrieden bin. So kann ich dann die überstehenden Taue kappen.
Die auf den Bildern zu sehenden Webleinen an den Unterwanten sind noch nicht fixiert und dürfen daher noch etwas schief daher kommen. Und einer meiner besten Matrosen zeigt uns schon mal, wie man über die Püttingswanten auf die Besanplattfom kommt.
Das Wantenknüpfen wird jetzt einige Zeit in Anspruch nehmen. Aber jetzt haben wir da die "dunkle Jahreszeit", da verbringt man gern Zeit in der heimischen Werft... Und so dauert es dann auch nur zwei Abende und einen trübgrauen Feiertag, bis an der Steuerbordseite alle Webleinen am Besanuntermast angebracht sind.
Ich bin dann schnell dazu übergegangen, jede Webleine einzeln zu bearbeiten, also erst dann mit der nächsten zu beginnen, wenn diese wirklich in der korrekten Position ist und der fixierende Weißleim zumindest so weit angezogen hat, dass nicht kleine, zufällige Berührungen die Knoten wieder verschieben.
Ja, man kann immer noch besser werden, aber mit dem bisherigen Ergebnis bin ich dennoch sehr zufrieden.
Das vierte von den letzten sieben Bildern mag ich übrigens ganz besonders.
Dezember 2018
Mittlerweile knüpfe ich zwar nicht täglich, aber doch an etlichen Abenden eifrig weiter Webleinen in die Wanten. Der Besanmast ist fertig, und an der Backbordseite des Großmastes geht es
weiter.
Wer sich jetzt fragt, wieviel Knoten das sind, die ich da knüpfen muss, bekommt hier die Antwort: Am Besan waren es 292, am Fockmast werden es genau 400 sein, und der Großmast erfordert stolze
566. Das sind in Summe 1258 Knoten für die erste Etage. Die zweite Etage, also die Marswanten, bekommen dann nochmal so ca. 450 Knoten - gemessen an den Untermasten also ein Kinderspiel... So
mancher Modellbauer betrachtet ja diese Arbeit als den nervigsten und langwierigsten Abschnitt beim Bau eines Segelschiffes. Ich sehe das wesentlich entspannter. Das Einziehen der Webleinen hat
für mich durchaus auch etwas Meditatives. Ich kann dabei herrlich abschalten, und der Blick über die fertigen Reihen am Ende des Werftabends bringt ein wenig Stolz und Zufriedenheit.
Bei den zahlreichen Figuren, die ich bereits angemalt habe, sind auch ein paar aufenternde Matrosen dabei. Je mehr Webleinen fertig sind, desto mehr Spaß macht es, die Jungs schon mal probehalber nach oben zu schicken.
Zur Zeit habe ich wohl das, was man im positiven Sinne "einen Lauf" nennt - vielleicht wird ja bis zum Jahresende die komplette erste Etage fertig. Mal schauen, aber ich werde mich keinesfalls unter Druck setzen. Nach wie vor lautet mein Motto "Gründlichkeit vor Schnelligkeit", und gebaut wird nur an den Tagen, an denen ich auch wirklich Lust dazu habe.
31. Dezember 2018
Das mit "komplette erste Etage bis zum Jahresende fertig" wurde dann aus gesundheitlichen Gründen doch nichts. Aber zumindest die gesamte Backbordseite ist nun komplett mit Webleinen versehen.
Man lernt beim Wantenknüpfen ständig dazu. Und man erkennt, dass es nicht immer so geht, wie man sich das idealerweise vorstellt. Am Anfang steht man ja vor der Frage, ob man die Webleinen realtiv straff spannt oder doch lieber so, dass sie leicht durchhängen. Die Diskussionen zu diesem Thema in Fachforen sind interessant und, wie nicht anders zu erwarten, keinsfalls im Ergebnis einhellig. Und schaut man sich dann noch solche aktiv auf den Weltmeeren umherschippernde Nachbauten wie die Goetheborg oder die Hermione an, macht einen das auch nicht unbedingt schlauer. Selbst dort sieht man Webleinen, die relativ straff sind, und daneben wieder andere, die teilweise ziemlich stark durchhängen. Und hat man sich dann eine Meinung gebildet und legt los, überrascht einen die Realität. Am unproblematischsten sind immer die "Felder", bei denen der Abstand von einem zum nächsten Wanttau sehr klein ist. Da ist der Verlauf der Webleinen auch bei den Originalen relativ straff. Wird der Abstand größer, wird es spannend. Man knüpft und zieht und korrigiert und ist am Ende glücklich, dass die Leine leicht durchhängt, genau so, wie man es wollte. Aber schon mit der nächsten Reihe wird alles anders. Letztendlich hat man immer ein Netz vor sich, ein komplexes, nicht starres Fadensystem, bei dem an jedem Knotenpunkt mehrere unterschiedliche Zugkräfte wirken. Dazu kommt dann noch, dass die Schwerkraft im Gegensatz zum Originalschiff bei diesen dünnen Fäden so gut wie gar nicht wirkt. Und plötzlich geht der an sich gewollte leichte Bogen nicht nach unten, sondern nach vorn oder nach oben. Mein Rat an der Stelle: Nicht in Panik verfallen - wenn das Wanten-Webleinen-Netz an einer Mastseite fertig geknüpft ist, kann man solche Sachen vorsichtig mit Leim und formgebenden Zahnstocher korrigieren. Und wenn es denn tröstet: Diese eine blöde Stelle, die man einfach nicht richtig hinbekommt, sieht man nur selbst.
Ich werde mir, wenn die komplette erste Etage fertig ist, die Zeit nehmen und in aller Ruhe jede einzelne Webleine betrachten, um zu entscheiden, wo noch Korrekturen nötig sind. Und im Einzelfall wird eben die Webleine wieder abgerissen und neu angebracht. Ach ja: Am Fockmast habe ich zwischendurch mal vier Webleinen neu machen müssen. Eine kleine Unaufmerksamkeit, und dann nahm ich diesen Fehler sozusagen ständig mit. Und das war wirklich auffällig. Gut, dass ich die Knoten nur mit Weißleim fixiere, dann kann man unter der gebotenen Vorsicht die Knoten dicht am Wanttau aufschneiden und und mit der Pinzette alles irgendwie abfummeln. Und als dann endlich die Backbordseite fertig war, haben es sich meine besten Topgasten nicht nehmen lassen, die Qualität meiner Arbeit zu testen.
Ein kleines Tutorial zum Wantenknüpfen
Im Folgenden möchte ich einmal kurz auf einige aus meiner Sicht wichtige Aspekte beim Wantenknüpfen näher eingehen. Das ist jetzt nicht der Gipfel aller Weisheit, sondern nur meine ganz persönliche Herangehensweise. Mittlerweile habe ich gut 2/3 der ersten Etage fertig und reichlich Erfahrung gesammelt, und das möchte ich gern weitergeben.
Zuerst einmal ist die Vorbereitung wichtig. Ich fertige mir für jeden Mast eine passende Schablone. Das ist einfach nur ein passend geschnittenes Blatt eines karierten Schreibblockes. Da es in meinem Maßstab wunderbar passt, kann ich als Abstand zwischen den Webleinen 5 mm nehmen, so dass ich nur die Linien des Schreibbockes nachziehen muss. Ganz wichtig ist die Unterkante der Schablone: Sie muss so geschnitten sein, dass im Ergebnis die Webleinenlinien horizontal verlaufen.
Am Beispiel eines einzigen Knotens will ich jetzt in wenigen Bildern zeigen, worauf es aus meiner Sicht ankommt.
Wir sehen hier die Steuerbordwanten des Großmastes; ich war schon fleißig, ca. die Hälfte der Webleinen sind bereits befestigt. Nun also die nächste. Ich beginne immer am zweiten bzw. vorletzten Want, dort setze ich den ersten Webleinstek. Anhand meiner Schablone ermittele ich die exakte Position und ziehe den Knoten dann richtig fest. Nun folgt Knoten Nr. 2. Natürlich auch das wieder ein Webleinstek, so wie alle Knoten beim Wantenknüpfen. Ich verlasse mich erst einmal auf mein Augenmaß, ziehe ihn einigermaßen fest, und dann drücke ich die Schablone von hinten fest gegen die Wanten. Ich richte sie dabei so aus, dass alle schon angebrachten Webleinen bzw. die jeweiligen Knoten exakt auf den Linien der Schablonen liegen. So sehe ich, ob und wenn ja in welche Richtung ich meinen neuen Knoten noch durch vorsichtiges Drücken mit der Pinzette verschieben muss. Und an der Stelle ein ganz wichtiger Ratschlag: Achtet nicht auf den Verlauf des Fadens zwischen den Knoten. Dieser suggeriert oftmals etwas völlig Falsches. Entscheidend sind die Knoten selbst - die müssen exakt auf der Linie der Schablone sitzen. Das zeigt das folgende Bild:
Jetzt brauchen wir eine Pinzette. Mit der halten wir das Wanttau, auf dem der neue Knoten sitzt, fest, und zwar so, dass wir den Knoten rechts vom Wanttau packen und festhalten. Mit der rechten Hand ziehen wir den Knoten straff (roter Pfeil), die Pinzette gibt die Gegenkraft (gelber Pfeil), um das Wanttau da zu lassen, wo es hingehört.
Im nächsten Schritt verändern wir die Zugkräfte. Die rechte Hand hält den Faden nur straff (grüner Pfeil), während mit der Pinzette nun ganz dicht links vom Wanttau in Richtung des blauen Pfeils der Knoten endgültig straff gezogen wird.
Man erreicht dadurch zwei Sachen: Zum einen wird der Knoten schön klein und eng und fest, zum anderen hat man nun in diesem Webleinenfeld die gewünschte sanfte Wölbung nach unten.
Hat man diese beiden Schritte vollzogen, kommt wieder die Kontrolle des Sitzes der Knoten mittels Andrücken der Schablone an die Wanten. Manchmal muss man die oben aufgeführten Schritte mehrmals gehen, bis im Ergebnis der Knoten genau auf Linie und die Webleine in der gewünschten Form sitzt.
Wenn es dann so aussieht wie auf diesem Bild, kann man sich dem nächsten Knoten widmen.
Ja, das Einziehen der Webleinen ist eine zeitaufwändige Angelegenheit. Und man sollte sich diese Zeit auch nehmen und das alles nicht als lästige "Strafarbeit" sehen, sondern als eine wichtige Etappe auf dem Weg zu einem schönen Modell. Mich stimmt es immer traurig, wenn ich bis dahin toll gebaute Schiffsmodelle sehe, die dann durch lieblos-schlampig geknüpfte Wanten erheblich an Qualität verlieren.
Wenn das, was ich hier beschrieben habe, beim ersten Mal nicht gleich klappt, sollte man nicht verzweifeln. Wie immer gilt auch hier: Übung macht den Meister. Und man sollte auch nicht erschrecken oder gar verzweifeln, wenn mit der nächsten Webleine der eben so schön geformte sanfte Bogen weg ist bzw. in ganz andere Richtungen geht. Am Ende der Wantenknüpferei kommt die große Inventur, und da gibt es noch Möglichkeiten, die eine oder andere Unstimmigkeit zu korrigieren, ohne das es gleich zu größeren Abrissaktionen kommen muss. Das zeige ich dann später - auch, weil ich selbst noch nicht genau weiß, ob meine diesbezüglichen Ideen auch funktionieren werden...
Januar 2019
Und dann ist der letzte Webleinstek der ersten Etage gesetzt. Wahnsinn - ich habe exakt 1.235 Knoten auf der Haben-Seite. Ich kann mich nur wiederholen: Ich empfand die Wantenknüpferei zu keinem Zeitpunkt als Stress oder langweilig, im Gegenteil. Das war für mich Entspannen und Abschalten pur, da konnten nicht einmal die derzeitlichen gesundheitlichen Beeinträchtigungen, die mich immer Pausen einlegen ließen, etwas dran ändern. Im Gegenteil, die Konzentration auf Knoten und Abstand und Fadenspannung ließ alles andere in den Hintergrund treten.
Vor den ca. 450 Knoten, die dann noch an den Stengewanten auf mich warten, ist mir nicht bange. Im Gegenteil, ich kann dann von den jetzt gesammelten Erfahrungen profitieren. Aber bis dahin vergeht noch einige Zeit. Das Setzen der Marsstengen mit allem, was dazu gehört, erfordert einiges an Arbeit; da werde ich noch viele Werftabende brauchen, ehe ich wieder einen Webleinstek setzen kann.
Zum Abschluss dieses Kapitels noch ein paar Fotos; meine Toppgasten ließen es natürlich nicht nehmen, rasch in die Wanten zu klettern, um auch mit aufs Bild zu kommen. Und selbst Mr. Aubrey schaut nicht unzufrieden drein.
Kleines Fotoshooting
Die fertig gewebten Wanten der Untermasten sind für mich so etwas wie eine Zäsur. Daher dachte ich mir, dass ich mir die Freude mache, mein Modell mal aus einer anderen als der sonst üblichen Perspektive und vor allem außerhalb meines "Marinezimmers" abzulichten. Und selbst das trübgraue Wetter hat ein paar hübsche Fotos auf meiner Balkonterasse ermöglicht. Das letzte Bild zeigt die Mercury unter einem Originalwerk eines englischen Fotografen, der im Jahr 1999 die einzelnen Phasen der totalen Sonnenfinsternis über Europa an der Victory eindrucksvoll festhielt. Ich bekam dieses Bild an meinem 50. Geburtstag in Portsmouth vom freundlichen Betreiber eines Pubs geschenkt.